Dr. Weber war ein
einfühlsamer Arzt. Vor allen Dingen konnte er zuhören. Schon nach den ersten
Worten wusste er, dass Andrea Kiefer nicht allein wegen gesundheitlichen Störungen
zu ihm kam, sondern seine Hilfe benötigte. Sie fühlte sich einer schwierigen
Situation ausgesetzt und war nicht in der Lage, ihre Probleme allein zu
bewältigen.
Zum ersten Mal äußerte sich Andrea Kiefer über Dinge, die sie bisher nicht
auszusprechen wagte. Sie befürchtete, sich lächerlich zu machen. Es waren nur
Vermutungen. Nichts Fassbares, keine Beweise. Die Kollegen schienen sie zu
meiden. Wenn sie einen Raum betrat, verstummten die Gespräche. Sie wurde nicht
mehr wahrgenommen, man grüßte sie nicht mehr. Sie hatte das Gefühl, es würde
über sie getuschelt. Aber was? Und warum? Es war wie ein Phantom, gegen das sie
sich nicht wehren konnte.
Zu dieser Zeit fingen die Asthmaanfälle an. Sie fühlte sich elend und konnte
nichts dagegen tun. Ihr Konzentrationsvermögen litt. Aus Angst Fehler zu machen,
strengte sie sich besonders an. Sie hatte das Gefühl, ständig unter Druck zu
stehen. Sie war nervös, schrie wegen Lappalien ihre Tochter an. Einmal glitt ihr
sogar die Hand aus, was sie sofort bereute. Sie kannte sich selbst nicht mehr.
Dr. Weber kam schon häufiger mit diesem Phänomen in Berührung. Er arbeitete in
mehreren Betrieben und musste feststellen, dass Mobbing immer mehr zunahm. Es
breitete sich aus, wie eine Seuche.
|